Eine Dokumentation – Teil 1
Im vergangenen Jahr haben wir umfangreiche Recherchen durchgeführt, diverse fachkundige Menschen befragt und um ihre Expertise gebeten, mit dem Zweck die Erhaltungswürdigkeit und das Allgemeininteresse des Gebäudekomplexes Koloniestraße 10 aufzuzeigen und zu begründen, warum dieser würdig ist durch z.B. einen Ensembleschutz oder einer baulichen Erhaltungssatzung geschützt zu werden und somit uns allen erhalten zu bleiben.
Dabei ist eine Dokumentation entstanden, welche sich mit der Historie der Koloniestraße im Allgemeinen beschäftigt und dann in die Geschichte der Nr. 10 eintaucht. Ein Fuhrhof im Wedding, als dieser noch lang nicht zu Berlin gehörte. In der Gegenwart angekommen beschäftigen wir uns mit der beispielhaften Begrünung im Hof, der Flora und Fauna und den gebäudespezifischen Besonderheiten. Es geht um die kulturelle und soziale Bedeutung von Objekten und Projekten wie der Kolonie10 im Kiez, wie auch interkiezonal und um die aktuelle Nutzung und die Visionen der Mieter*innen und Nutzer*innen des Hofes.
In den folgenden Artikeln, wollen wir euch Einblicke in diese Dokumentation geben.
Dazu beginnen wir mit der Geschichte der Koloniestraße.
Erstmal ein paar Fakten:
Die Koloniestraße befindet sich heute im Berliner Bezirk Mitte im Ortsteil Gesundbrunnen.
Sie ist 1340m lang und verläuft von der Kreuzung Bad-, Exerzier- und Schwedenstraße im Süden, über die Osloer- und Soldiner Straße und findet ihr nördliches Ende in der Einmündung Kühnemannstraße und somit an der Grenze zum Bezirk Reinickendorf.
So weit, so gut…
Aber wer oder was gab der Koloniestraße eigentlichen ihren Namen? Wie sah es damals dort aus? Wann und warum wurde der Wedding zur „Hochburg der Arbeiterparteien“? Warum „roter Wedding“? Und wie veränderte sich die Gegend während und nach der NS-Zeit?
Here we go:
Im 18. Jahrhundert begann eine planmäßige Anlegung kleiner Siedlungen am Rande der damaligen Stadt Berlin. So entstand ab 1752 auf dem heutigen Wedding die Kolonie „Neues Voigtland“ und zwischen 1782 und 1784 ist die erste Niederlassung der Kolonisten in der „Kolonie hinter dem Luisenbad“ nachweisbar. Genau diese Kolonisation gibt der Koloniestraße um 1800 ihren Namen (früher hieß sie „Straße nach Pankow“).
Es waren Bauern, die der preußische König Friedrich der Große aus dem Ausland angeworben hatte, um die Bevölkerung Berlins mit Obst und Gemüse zu versorgen. 13 Familien zogen in die Koloniestraße, die damals noch ein einfacher Sandweg war, und bekamen jeweils ein bescheidenes Häuschen geschenkt. Das letzte dieser Kolonistenhäuser steht bis heute in der Koloniestraße 57 und ist denkmalgeschützt.
Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch ca. 350 Menschen an der Panke lebten, hatte sich die Einwohnerzahl 1843 vervierfacht und 1925 bereits vertausendfacht.
Hier machen wir einen kleinen Cut zur Einordnung.
Erste Einträge zur Koloniestraße 10 fanden sich um 1860. Das Vorderhaus wurde etwa 1880 erbaut. Der Hof, welcher in seiner Struktur und Anlage noch heute so existiert, war einer von vielen Fuhrhöfen in der Gegend und ist heute einer der letzten in diesem Umfang noch erhaltenen. Hier fanden sich Ställe, Stellmacher, Sattler, Kutschen usw., also alles was gebraucht wurde, um das angebaute Obst und Gemüse in die Stadt zu fahren. Fuhrhöfe wie die Nr.10 waren also ein wichtiger Bestandteil der damaligen Infrastruktur und unabdingbar, um die Versorgung der Bewohner*innen Berlins zu gewährleisten.
1861 wurde die Umgebung der Koloniestraße nach Berlin eingemeindet und bildete, bis zur Gründung Groß-Berlins (1920) das nördlichste Stadtviertel.
Neue Fabriken (Osram, Rotaprint, AEG u.a.) wurden auf dem Wedding erbaut und es brauchte Wohnraum für die Arbeiter*innen. Viele der Weddinger Hinterhöfe mussten der verdichteten Wohnbebauung im Rahmen der Industrialisierung weichen. Dort wo einst die typischen zweigeschossigen Remisen standen, die als Wohnraum der Mitarbeiter*innen der Fuhrunternehmen, sowie als Werkstätten und Ställe dienten, entstanden nun mehrgeschossige Wohnbauten als Seitenflügel und Hinterhäuser. Diese neuen Quartiere der Arbeiterbezirke waren durch prekäre Wohn- und Lebensverhältnisse gekennzeichnet. Überbelegung von Wohnraum und soziale Missstände auf dem Wedding lassen sich auch in Werken von Heinrich Zille und George Grosz ablesen.
Der Unmut der Arbeiter*innen über die sozialen Ungerechtigkeiten wuchs. Diese Situation führte zu einem Erstarken der frühen Arbeiter*innenbewegung und es entstanden Gewerkschaften und Sport- und Bildungsvereine der Arbeiter*innen. In der Weimarer Republik wurde der Wedding als Hochburg der Arbeiterparteien bekannt und seither „Roter Wedding“ genannt. Vor 1933 lebten besonders viele KPD-Mitglieder*innen und Sympathisant*innen in der Koloniestraße.
In den letzten Monaten der Weimarer Republik fielen die Nazis dann immer präsenter in den Wedding ein. Sie übernahmen Kneipen und Lokale, hissten Hakenkreuzflaggen und sangen ihre Lieder bis spät in die Nacht. Die Verfolgungen, Verschleppungen, Folterungen und Morde durch die Nazis nahmen im Frühjahr 1933 rasant zu. Während sie im Januar noch mit Steinen, Flaschen und lautem Protest aus dem Bezirk getrieben wurden, änderte sich das Bild schlagartig binnen weniger Wochen und Monate. Verbale Drohungen, offene Gewalt auf den Straßen bis zu Misshandlungen und Morde in den Kellern von Kneipen, schüchterten die Bevölkerung ein und zermürbten politische Gegner*innen des NS-Regimes. Bereits im April 1933 schrieb die NS-Zeitung „Der völkische Beobachter“, dass die letzte „Kommune-Hochburg“ nun von Soldaten „erstürmt“ worden sei – gemeint war hier der Wedding, genauer die Kösliner Straße in der die Motorstaffel der Berliner SA nun ein Sturmlokal eröffnet hatte.
Je mehr die Präsenz der Nazis auch wuchs und je brutaler ihr Vorgehen gegen ihre politischen Feinde wurde, desto mehr wuchs allerdings auch die Widerstandsbewegung im Wedding. Da viele Arbeitertreffpunkte und kommunistische Lokale nun von SA-Truppen zu Sturmlokalen und Folterstätten umfunktioniert wurden, trafen sich Arbeiter*innen, Kommunist*innen und Widerstandskämpfer*innen vermehrt in ihren Wohnungen bzw. in den dazugehörigen Kellern. Dort wurden Flugblätter und Zeitungen, wie „Der Funke“ oder „Der revolutionäre Vertrauensmann“ verfasst und gedruckt, Aktionen oder Streiks besprochen und geplant und vernetzt, mit der Ansicht, dass „ein Sturz des Regimes nur von den Großbetrieben ausgehen könnte und dass es gälte, ein Netz von Vertrauensleuten zu knüpfen“ (Henry Jacoby, Funke-Gruppe).
Der Wedding blieb, wenn auch stark dezimiert und ob der Gefahr verhaftet, verschleppt oder getötet zu werden, ein Ort an dem Regimegegner*innen, mittlerweile im Untergrund oder versteckt arbeiteten. So auch, der 1944 vom NS-Regime ermordete Widerstandskämpfer Paul Junius. Nach ihm wurde eine Straße in Berlin Lichtenberg benannt. Ein wichtiger kommunistischer Treffpunkt war das Lokal „Zur Krücke“ in der Koloniestraße, welches noch in den 1980er Jahre existierte.
1945 wurde ein Drittel der Gebäude im Wedding, insbesondere die Schul-, See- und Badstraße schwer beschädigt oder zerstört.
Im nächsten Artikel gehen wir auf die direkte Geschichte der Koloniestraße 10 ein. Wie sah es hier aus? Wer hat hier gewohnt und gearbeitet? Wie entwickelte sich der Hof über die Jahre und was macht ihn heute aus?